Lernziele von Planspielen


„Der Ausgangspunkt eines jeden Planspiels sind gute Kenntnisse der thematischen Grundlagen, die Erfassung der jeweiligen Gesamtsituation (z.B. ob es eine WTO-Verhandlung im internationalen Rahmen oder eine Gehaltsverhandlung zwischen Vorgesetztem und Angestellten ist) und ihre Analyse, die es den TeilnehmerInnen ermözielscheibeglichen, erfolgreiche Strategien zu entwickeln. Auch sind die TeilnehmerInnen schon an dieser Stelle – wie auch später bei den Verhandlungen selbst – gefragt, sich in die jeweils andere Partei bzw. Teammitglied hineinzuversetzen, um so Beweggründe, Vorstellungen und Ziele des anderen besser zu verstehen und sie mit den eigenen Verhandlungszielen abgleichen zu können im Hinblick auf Kompromiss- und Verhandlungsmöglichkeiten. Dabei gilt es vor allem, zum einen Lösungswege und zum anderen einschränkende Faktoren zu erkennen. Bereits bei diesen Schritten, die der eigentlichen Simulation vorausgehen und für ihren erfolgreichen Abschluss essentiell sind, wird Wissen erworben und werden insbesondere Analyse- und Auffassungsfähigkeiten der Planspielteilnehmer geübt.

Was die Planspiele von den meisten anderen universitären Seminaren unterscheidet, ist, dass Kenntnisse und Analyse nicht nur erworben, sondern auch unmittelbar praktisch angewandt und somit verfestigt werden. Darüber hinaus muss in den Simulationen eine Fülle weiterer Kompetenzen und Fähigkeiten eingesetzt werden, die somit im Rahmen universitärer Planspiele sinnvoll entwickelt und  trainiert werden können. Gefragt wird neben der richtigen Anwendung der Sprache, dem Aufbau überzeugender, stringenter Argumentationsketten und der Durchsetzungsfähigkeit auch die Schaffung einer partnerschaftlichen Atmosphäre,  um den eigenen Standpunkt ins rechte Licht zu rücken und erfolgreich zu verhandeln. Auch den klassischen Soft Skills wie der Teamfähigkeit, Lern- und Lehrfähigkeit, den Führungsqualitäten, der Fähigkeit, eine Diskussion zu leiten bzw. sich daran zu beteiligen, der Kommunikationsfähigkeit, der Selbstpräsentation, der Konfliktlösungsfähigkeit und dem Einfühlungsvermögen kommt bei Verhandlungen große Bedeutung zu. Außerdem kommen insbesondere bei internationalen Verhandlungen Menschen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund zusammen, was bis zu einem gewissen Grad im Planspiel abgebildet werden kann, wodurch auch die interkulturelle Kompetenz gestärkt wird. Schließlich geht es ebenfalls darum,  auch in emotional angespannter Situation den kühlen Kopf zu bewahren, mit verschiedenen Charakteren umgehen zu können und Persönliches  vom Professionellen zu trennen. Nur beim richtigen Einsatz all dieser Kompetenzen  können die Verhandlungen zu einem für die Parteien erfolgreichen Abschluss gebracht werden.

Die Lernziele der Planspiele werden zutreffend in dem Syllabus der Kennedy School of Government der Harvard University auf den Punkt gebracht: „Through discussion of case studies and assigned readings, you will apply analytical techniques to real-world negotiations. Through participation in negotiation exercises, you will have the opportunity to experiment with different negotiating tactics and strategies“ (http://ksgnotes1.harvard.edu, Nachweis Nr. 11).

Eine gute Übersicht der zu erlernenden Fähigkeiten bietet der Syllabus der Harvard University für das Seminar Introduction to Negotiation Analysis:

1 Der komplette Link zu den angegebenen Internetquellen findet sich im Quellenverzeichnis.

Kognitive Fähigkeiten:

  • Verständnis für eigene Ziele und Gefühle
  • Adaption der Perspektive des anderen
  • Analyse von einem objektiven Standpunkt aus
  • Die Intention des anderen verstehen
  • Den eigenen Beitrag richtig einschätzen
  • Ethische Fragen bedenken
  • Aufmerksam im Hinblick auf strategische Möglichkeiten und neue Informationen sein
  • Unterscheidung zwischen Positionen und Interessen
  • Unterscheidung zwischen Substanz und Prozess der Verhandlung
Strategische Fähigkeiten:

  • Entwicklung helfender Alternativen
  • Kreativität im Hinblick auf Optionen
  • Zielgerichtet agieren, trotzdem flexibel bleiben
  • Effektives Zeitmanagement
  • Informationen aufdecken
  • Ausdauernd bleiben
  • Verteilungen vornehmen
  • Standards festlegen und gebrauchen
  • Bindungen verfestigen
  • Eigene Ziele und Gefühle repräsentieren

 

 

Kommunikative Fähigkeiten:

  • „Offene“ Fragen stellen
  • Klarstellende Fragen stellen
  • Paraphrasieren zum besseren Verständnis
  • Zwiespältigkeit ausrücken
  • Beobachtungen teilen und begründen
  • Statements effektiv strukturieren
  • Ruhe in emotionalen Situationen bewahren
  • Ehrlichkeit gegenüber anderen und sich selbst
  • Gespür haben für zugrunde liegende Probleme und Interessen
  • Kongruenz zwischen Gedanken und Aktionen
Zwischenmenschliche Verbindungen:

  • Wertschätzung ausdrücken
  • Feedback geben und bekommen
  • Beziehungen „reparieren“ oder neu starten.
  • Konsens herstellen
  • Harmonisches Verhältnis herstellen
  • Beratung mit anderen
  • Empathie ausdrücken
  • Vertrauen aufbauen
  • Unterscheiden zwischen Verhandlungssituation und persönlicher Beziehung

 

 

(eigene Übersetzung, Nachweis http://ksgnotes1.harvard.edu)


Vorgehensweisen

 Die Methoden, die zur Vermittlung der genannten Lernziele angewendet werden, ähneln sich stark. Unterschiede hinsichtlich der Struktur und  Vorgehensweise ergeben sich daraus, ob eine Überprüfung politikwissenschaftlicher Theorien oder die Vermittlung der Funktionsweise eines Unternehmens oder einer internationalen Organisation im Vordergrund des Seminars stehen soll, oder ob der Fokus auf den Spielverlauf selbst, also auf die Anwendung von Verhandlungsstrategien gelegt wird. Naturgemäß kann auch das jeweilige Thema der Simulation einen Einfluss auf seine Ausgestaltung haben.

Dennoch bildet bei nahezu allen Planspielen die Auseinandersetzung mit Verhandlungsstrategien und –techniken den Anfang. Über die  Verhandlungsstrategien und –techniken geben viele Autoren einen detaillierten Überblick (siehe Literaturempfehlungen im Anhang), eingegangen wird dabei auf Verhandlungsaspekte von der Natur der Verhandlungsgegenstände, den verschiedenen Verhandlungsarten oder den notwendigen Eigenschaften einesgebogener_pfeil Verhandlungsführers über überzeugende Argumentation bis hin zur kreativen Verteilung der Gewinne und Verluste. Beispielsweise unterscheidet Kellner (2000, S. 133f) hinsichtlich der Verhandlungsstrategien zwischen der 4-Varianten-Methode (aufgeteilt nach Notlösung, unbefriedigender Lösung, akzeptabler Lösung und Ideallösung und der jeweiligen Chance ihres Erreichens), der Bilanz-Methode (Forderungen und Angebote werden in einer Bilanzform gegenübergestellt), der Verbündeten-Methode (Suche nach Verbündeten, Einnahme der Position des Hoffnungsträgers) und der Basar- Methode (Zurschaustellung von Desinteresse, kategorische Ablehnung erster Angebote).

Weltweit bekannt ist das Harvard-Konzept (Fisher 2001; Fisher/Ury/Patton 2009). Mit seiner Hilfe sollen faule Kompromisse oder Sieg-Niederlage- Konstellationen möglichst vermieden und ein Ausgleich der unterschiedlichen Interessen erreicht werden. Vier Grundsätze sind dabei zielführend:

  1. Menschen und Sachthemen sind getrennt zu betrachten.
  2. Die Interessen sind entscheidend, nicht die Positionen.
  3. Es sind Alternativen zu entwickeln und zu berücksichtigen.
  4. Es müssen Kriterien zur Qualitätsmessung des Verhandlungsergebnisses definiert werden. (Kellner, S. 166f)

Eine weitere mögliche Verhandlungsstrategie ist das sog. Prinzip der drei Dimensionen, welches die drei tragenden Aspekte erfolgreicher Verhandlungen zu einer Strategie bündelt (siehe: http://hbswk.hbs.edu/item/5497.html).

Die erste Dimension betrifft die Ausgestaltung des Verhandlungs-spielanleitung
prozesses. Wichtig ist es hierbei z.B., sich vor Augen zu führen, dass oft schon beim Platznehmen am Tisch ein Großteil des Spiels gespielt worden ist. Außerdem ist die Austarierung des Deals abhängig von den Teilnehmern und der Agenda, wenn notwendig, muss hier eine Neuordnung stattfinden. Es wird immer versucht, auf verschiedenen Ebenen Spielregeln anzupassen oder neu zu interpretieren, um den größtmöglichen Nutzen zu erzielen. Die zentralen Fragen hier sind:

  • Wer sollte am Tisch sitzen?
  • Was ist die beste Möglichkeit, ihn dazu zu bewegen?
  • Wie soll man Teilnehmer ansprechen?
  • In welcher Reihenfolge soll dies geschehen (zusammen oder alleine, unter vier Augen oder öffentlich?)
  • Welche Punkte stehen auf der Agenda und sollen sie verknüpft oder getrennt werden?
  • Welcher Prozess ist potenziell am erfolgreichsten?
  • Wie hoch sollen die Erwartungen gesteckt werden?
  • Gibt es Alternativen beim Nicht-Zustandekommen einer Einigung?
  • Soll es mehrere Tische gegeben, an denen entweder parallel, getrennt oder nachfolgend verhandelt wird?

Die zweite Dimension bildet die Maximierung der Effektivität am Verhandlungstisch. Die einzelnen Elemente, auf die man sich diesbezüglich während der Vorbereitung und dann der Verhandlungen selbst konzentrieren muss, sind:

  • die Entwicklung adäquater Verhandlungsstile,
  • die Herstellung der richtigen Atmosphäre,
  • der Aufbau von Vertrauen,
  • die Dynamik in der Kommunikation,
  • die Bündelung oder Trennung von Verhandlungsgegenständen,
  • die Überzeugungsarbeit,
  • die Deutung der Körpersprache,
  • die Überwindung kultureller Differenzen.

Die dritte Dimension ist schließlich die Entwicklung einer Vereinbarung oder eines Vertragsabschlusses. Zu klären ist, welches das zugrundeliegende Problem ist, wo und inwiefern Potential besteht, zu einem für alle Seiten tragbaren Kompromiss zu gelangen, der eine Win-Win-Situation darstellt. Der Fokus liegt hier auf den  Richtlinien für einen Vertragsabschluss, auf der Möglichkeit zur Wertsteigerung für potentiell kooperative Partner.
[…]


Fazit

 Wie die Ausführungen […] zeigen, kann man sich abschließend dem einleitenden Zitat in der Überzeugung anschließen, dass Planspiele ein für die gegenwärtige universitäre Lehre der Sozialwissenschaften geeignetes  Instrument sind. Sie fördern sowohl fachliche Kenntnisse und ihre praktische Anwendung als auch zahlreiche Soft Skills, die heutzutage eine größere Rolle denn je spielen. Gleichzeitig haben Simulationen den Vorteil, dass man ihre Grundform den verschiedensten Themen und Zielen der Seminare problemlos anpassen kann.

Aus all diesen Gründen soll an dieser Stelle eine Ermutigung ausgesprochen werden, die Vorteile doch öfters zu nutzen und Planspiele häufiger in der Lehre einzusetzen.“


Auszug aus: Stefan A. Schirm / Katerina Smejkalova / Malte Rötzmeier (2010): „Planspiel und Verhandlungssimulation als Universitäts-seminar“. Lehrstuhl für Internationale Politik an der Ruhr Universität Bochum. Online im Internet: http://www.sowi.rub.de/mam/content/lsip/planspielleitfaden.pdf; S. 6 – 10 (Letzter Zugriff: 09.11.2016)